Menü
Aktuell

Ünner't Lüchtfüer

Ein berührendes Stück über eine besondere Freundschaft

Von Arne Christophersen

Laut Vorschrift des Wasser- und Schifffahrtsamtes muss ein Leuchtturm immer mit zwei Mann besetzt sein. So schippert Postschiffer Herbert mit der wöchentlichen Post regelmäßig auch Assistenzleuchtturmwärter herbei, denn in den letzten 14 Jahren hat Paul viele Assistenzleuchtturmwärter verschlissen. Bengt, der mit Spielschulden am Hals auf die Insel kommt, ist die Nummer 36. Und wäre es für Bengt nicht seine letzte Chance, würde demnächst sicher Nummer 37 geschickt werden müssen. Aber Bengt, ein Ausbund an Lebenslust, Fröhlichkeit und Geschwätzigkeit, lässt sich von Pauls grober Zurückweisung ebenso wenig einschüchtern, wie von Pauls exzentrischen Versuchen, ihn von der Insel zu vertreiben.

Ein unerwarteter Gast auf der kleinen Insel verändert das Leben der beiden Männer dann nachhaltig. Pauls Tochter Nina kommt überraschend ihren Vater besuchen. Allerdings hat sie Neuigkeiten dabei, die Paul in große Sorgen versetzen. Mit Herberts Hilfe als Mediator und Schiffsdeckpsychiater erkennt Paul in dieser schwierigen Lage auch, dass Bengt längst ein guter Freund geworden ist, den er gar nicht mehr vertreiben möchte.

Regie: Uwe Wendtorff

Die Niederdeutsche Bühne Lübeck gratuliert Uwe Wendtorff herzlich zum 50ten Bühnenjubiläum, das er mit diesem Stück feiert!

Besetzung

Paul Gebhardt:            Günter Lüdtke
Bengt Reepschläger:   Roland Gabor
Herbert Traulsen:         Peter Wiechmann
Nina Gebhardt:            Anja Giebelstein

Pressestimmen

Ein Gnadderkopp im Leuchtturm 

„Ünner’t Lüchtfüer“ feierte Premiere an der Niederdeutschen Bühne Lübeck
 – Komödie wird zum Melodram – Viel Applaus auch für Jubilar Uwe Wendtorff 

Lübecker Nachrichten 11.04.24 | Hanno Kabel 

Lübeck. Die letzte Leuchtturmbesatzung in Deutschland zog 1973 aus der Wesermündung ab. Sie arbeiteten dort zu viert, und niemand war länger als zwei Wochen am Stück im Einsatz. Aber im kulturellen Gedächtnis ist der Leuchtturmwärter als Archetyp noch immer lebendig – der einsame, weltabgewandte Mann, der bei Wind und Wetter seinen Posten hält und mit den Jahren immer schrulliger wird.
So einer ist Paul Gebhardt, die Hauptfigur des Stücks „Ünner’t Lüchtfüer“ von Arne Christophersen, das die Niederdeutsche Bühne in den Kammerspielen des Theaters Lübeck spielt. Gegen diesen Paul Gebhardt ist Dagobert Duck die Liebenswürdigkeit in Person. Gebhardt hat in seinen vielen Leuchtturm-Jahren schon 35 Assistenten weggeekelt. Es besteht wenig Grund zu der Annahme, dass es Bengt Reepschläger, der Nummer 36, anders ergehen sollte.
Warum der Leuchtturmwärter ist, wie er ist, wird nicht recht klar. Im Übrigen trägt der Text ziemlich dick auf: In der zweiten Hälfte taucht Paul Gebhardts Tochter Nina auf, ein leuchtender Engel mit tragischer Note, der den Griesgram besänftigt und die beiden Männer zusammenführt. Was als Komödie anfing, wird zum Melodram.
Was diesen Abend trägt, ist vor allem die Spielfreude und darstellerische Leistung der Schauspieler. Allen voran Günter Lüdtke: Er verkörpert vollendet die niederdeutsche „Gnadderigkeit“ – maulfaul, unfreundlich, egozentrisch und, wenn ihm etwas nicht passt, auch noch aufbrausend. Um so anrührender wirkt seine plötzliche Fahrigkeit und Unsicherheit, als seine Tochter ihren Besuch ankündigt.
Sein Gegenpart ist Roland Gabor als Bengt Reepschläger, der sich nach Harmonie sehnt und lange bereit ist, noch die empörendsten Anmaßungen des alten Gnadderkopps zu verzeihen. Ein liebenswürdiger, leicht trotteliger junger Mann mit jungenhaftem Charme. Anja Giebelstein spielt mit unschuldigem Augenaufschlag die Tochter, die nicht ohne eine gewisse List das Eis bricht. Und dann ist da noch der geduldige, ausgleichende Postbote Herbert Traulsen (Peter Wiechmann), bis zu Ninas Ankunft Pauls einzige Verbindung zur Außenwelt.
Es gab großen Applaus, nicht zuletzt für den Regisseur Uwe Wendtorff, der mit dieser gelungenen Inszenierung sein 50. Jubiläum als Mitglied der Niederdeutschen Bühne Lübeck feierte.

      * * *

„Ünner’t Lüchtfüer“ 

Eine melancholische Komödie bei der Niederdeutschen Bühne

LÜ B E C K I S C H E  B L Ä T T E R  2024/8 | Jutta Kähler 

Das Leben als Leuchtturmwärter kann ganz schön einsam sein. Paul Gebhardt macht da keine Ausnahme. Mehr als „eigen“ sind seine Angewohnheiten und Hobbys: Mit der Kettensäge ran ans Treibholz, Möwen schießen und dem Assistenten die toten Vögel vors Fenster hängen, in seiner Wohnung Bezirke mit rotem Klebeband („die rote Zone“) markieren, die nur ihm zugänglich sind und nicht überschritten werden dürfen, Kindervideos wie „Bernard und Bianca“ und vor allem „Das Dschungelbuch“ anschauen, Anweisungen an den Assistenzleuchtturmwärter knapp schriftlich formulieren: „Wach bleiben! Bescheid geben!“ 36 Assistenten hat er schon verschlissen, keiner hält es bei ihm aus. Wie soll man auch mit einem Menschen zusammenleben, der Kommunikationsverweigerung zum Lebensprinzip gemacht hat? Wie wird ein Mensch so?
Arne Christophersen aus Tarp gibt darauf in seiner 2014 uraufgeführten melancholischen Komödie Antworten und leuchtet die Charaktere mit seinem „Leuchtfeuer“ bis in die Tiefenschichten aus. Einsamkeit, eine finanzielle Notlage, Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit und fast vergessene Kindheitserinnerungen, Krankheit, Tod, vor allem die Aussicht auf die Überwindung von inneren Grenzen und die Hoffnung auf Freundschaft, all das bringt der Autor, von Haus aus Lehrer für Physik und Mathematik und auch in der Lehrerausbildung tätig, in dem ersten seiner bislang acht Theaterstücke überzeugend miteinander in Verbindung.Es darf gelacht werden, vor allem zu Beginn, nicht im schenkelklopfenden Spaßvergnügen und nie auf Kosten der dargestellten Personen. Dazu trägt die Regie von Uwe Wendtorff, der im Anschluss an die Premiere anlässlich seines 50-jährigen Bühnenjubiläums von Rainer Luxem gewürdigt wurde, maßgeblich bei.
Günter Gerhard Lüdtke ist der verschlossene, grantige Leuchtturmwärter Paul, der erst langsam wieder aus seiner inneren Kälte auftaut. Was hilft, ist sein von der überraschend zu Besuch kommenden Tochter Nina (Anja Giebelstein spielt sie zurückhaltend und mit viel Verständnis für den Vater) zubereitetes Leibgericht Spinat mit Spiegelei und die fast vergessene Anrede „Papsi“. Peter Wiechmann als Postbote Herbert scheint der Einzige zu sein, der noch einen Draht zu Paul hat und zwischen den Personen zu vermitteln versteht – mehr als eine Briefe und Pakete austragende Nebenrolle. RolandGabor verkörpert Bengt Reepschläger, den es zur Abbüßung von zwei Jahren Sozialdienst wegen Spielschulden, Betrugs und Unterschlagung in den Leuchtturm mit WC-Außenanlage verschlägt. Wohin mit Lebenslust, ungebremstem Redefluss und den T-Shirts mit „sinnigen“ Slogans, den Resten seines früheren Unternehmens (Kostüme: Christa Walczyk), wenn man immer an die von Paul gesetzten Grenzen stößt? Wie sich allmählich das Verhältnis der beiden Männer bessert, wird mit Hilfe eines gemeinsamen koffeinfreien PharisäerGenusses deutlich: Man nehme Rum mit Schlagsahnenklackermaschü. Spätestens dann erkennt Bengt – und da nimmt sich Gabor in seiner Darstellung auch etwas zurück – was Nina ihm über ihren Vater begreiflich gemacht hat: „Er war immer so nett, er hat es nur vergessen.“ Krankheit und Tod der Tochter bringen die beiden Männer noch stärker zusammen, beide an einem Tisch ohne Grenzmarkierungen. Paul hat mit dem von Bengt geschenkten Messer Figuren aus dem Dschungelbuch geschnitzt, die sich einander annähern. Wo Freundschaft wächst, braucht es in diesem Moment keine Worte mehr, wohl aber viel Applaus nach einem rührenden, aber nicht rührseligen Schluss.

 * * *

 

Ünner't Lüchtfüer   (ab 09.04.24)