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„Loop doch nich jümmer weg.“

Premiere bei der Niederdeutschen Bühne Verwicklungen, Verkleidungen, Verwechslungen – dazu fünf Pastoren, von denen nur drei echt sind. Ausgangspunkt: Pastor Bornemann ist nicht zu Hause, überraschend taucht im Pastorat ein früherer Schauspielkollege der unkonventionellen Pastorenfrau auf. Um unerkannt gemeinsam ein Theater besuchen zu können, vertauscht er seine Marineuniform mit dem Pastorenanzug. Bitte nicht nachdenken, ob das alles logisch ist. Die sich im folgenden ergebende Handlung nachzuerzählen, würde dem Besucher des Stückes die Überraschung nehmen. Autor des englischen Originals ist Philip King (1904–1979), er schrieb das Stück noch während des 2. Weltkriegs, Uraufführung war 1945. Kein geringerer als Peter Zadek sorgte 1977 in Bochum für die deutsche Erstaufführung und man wüsste gerne mehr über seinen Umgang mit dem englischen Humor dieses Stückes, das in der niederdeutschen Übertragung seit vielen Jahren ein „Renner“ ist. Kann sich die Ankündigung mit der Doppelformulierung „Komödie/Farce“ nicht entscheiden, worum es sich eigentlich handelt? Es ist wohl eher so: Die ersten beiden Akte setzen noch auf Komödiantisches, auf Wortwitz und Pointen, der dritte Akt unter der Regie von Manfred Upnmoor wird dann zur bloßen Farce. Temporeich, mit Herrn Pastor in Unterhosen, unter Einsatz von reichlich Alkohol wird da dem Affen tüchtig Zucker gegeben bis hin zum „Erntedankhüpfen“. In der abschließenden Aufklärung der Missverständnisse fällt happyendmäßig, aber auch etwas schlapp, alles in sich zusammen, man hat sich verausgabt, und zwei Paare, ein altes und ein neues, finden zueinander. Offensichtlich befinden wir uns in den 50er-Jahren: Plüschsofa, nostalgisches Telefon mit Wählscheibe, eine Truhe, Tür zum Garten, Treppe zum Obergeschoss, vor allem ein Schrank zur temporären Aufbewahrung einzelner Personen (Bühnenbild: Moritz Schmidt), viel mehr braucht es nicht. Die Bühnenbilder verschiedener Inszenierungen erscheinen im Vergleich nahezu identisch. Das waren noch Zeiten: Da hatte ein Pastorenehepaar auf dem Land noch ein Dienstmädchen mit weißer Schürze und Häubchen (Kostüme: Christa Walczyk). Jenny Walczyk als Ida zeigt sich jeder Situation gewachsen, kann zupackend agieren und schnippisch sein, vor allem in ihren Äußerungen über Fräulein Almut vom Kirchenvorstand: „Eine ganz verlogene Pissnelke ist das.“ Christa Walczyk wirft sich mit Emphase und vollem Körpereinsatz, vor allem, wenn sie wirklich „voll“ ist, in diese Rolle, so dass sie im Schrank zwischengelagert werden muss. Anne Grage überzeugt als unkonventionelle, toughe Pastorenfrau Dorothea, die gezielt sprachliche Pointen zu setzen versteht. Für ihre Version des 50er-JahreSchlagers „Mama, ich möcht heut ausgehen“, weiland von Margot Eskens gesungen, erhält sie Szenenapplaus. Über den Liedtext breiten wir lieber den Mantel des Schweigens, er ist wie so vieles an diesem Stück doch aus der Zeit gefallen. Dieser Dorothea Bornemann hätte man durchaus zugetraut, dass sie dem Eindringling, dem entflohenen Knastbruder, die Pistole entwendet, ist doch Heino Hasloop ein eher teddybärartiger, harmlos wirkender Krimineller. Im Original war er noch ein entflohener deutscher Kriegsgefangener; das hatte mehr Brisanz: der einzige Verbrecher in diesem Stück − ein Nazi. Gegen die drei Frauen müssen sich die Männer behaupten. Robin Kochs Obermaat Uwe ist sympathisch wie hilflos, wenn er seine Uniform nicht wiederfindet, und schnell von Ida begeistert. Torsten Bannow ist als Pastor Bornemann nicht ganz so verklemmt wie im Original angedacht, Hans-Gerd Willemsen ist als Oberkirchenrat ein wahrer Schluckspecht. Werner Tietjen als echter Pfarrer Bertzbach und Günter Kassow als Wachtmeister müssen sich zum größten Teil ratlos in dem Wahnsinnstohuwabohu zurechtfinden. Das Publikum war bannig vergnögt und applaudierte heftig.

Jutta Kähler

Lübeckische Blätter 2024/3

Drei Schwestern und ein Todesfall
Lübecker Nachrichten | Peter Intelmann
LÜBECK. Am Gelde hängt's, zum Gelde drängt's, und Judith ist ganz vorne mit dabei. Wo es etwas zu holen oder zu verteilen gibt, geht das in ihren Augen in erster Linie sie an. Aber ihre Schwestern Eva und Christin sind auch nicht ohne. Das bekommt man vorgeführt im Laufe von „Achtertücksche Süstern", dem neuen Stück der Niederdeutschen Bühne Lübeck. Am Dienstag hatte es in den Kammerspielen des Theaters Premiere.
Bei Anton Tschechows „Drei Schwestern“ wird man Zeuge, wie drei junge Frauen irgendwo in der russischen Provinz auf Abwechslung warten, auf etwas Spannung in ihrem gleichförmigen Alltag, auf ein besseres Leben. Man könnte es auch Glück nennen. Tschechows Stück ist gut 120 Jahre alt, aber bei Peter Buchholz hinterhältigen Schwestern (niederdeutsch bearbeitet von Kerstin Stölting) ist es im Grunde nicht anders. Auch hier suchen drei Frauen nach etwas, das ihrem Leben eine andere Richtung geben könnte. Wie es aussieht, ist das nicht bei allen dasselbe. Oder doch? Man wird jedenfalls im Laufe der Geschichte beobachten können, wie sich die Dinge verschieben, wobei die Konstellation auch eine Versuchsanordnung zu nennen wäre.
Da ist Judith (Kirsten Mehrgardt), Ärztin und ebenso verbiestert wie geradeheraus. Sie ist eine Klage, ein einziges Lamento und ihr Lebensgefühl eine nie enden wollende Benachteiligung. Außerdem ist sie ziemlich pleite. Ihr Mann hat in Rennpferde investiert, die mit Rennen nicht viel am Hut haben, und ihre Praxis steckt auch in den roten Zahlen. Ihre Schwester Eva (Anneli von Piotrowski) hat drei Kinder von drei Männern, und keiner zahlt. Den letzten hat sie gerade verabschiedet, aber ein neuer wartet schon. Selbst ihr Vater hat sie „Flittchen“ genannt. Eva ist ebenfalls nicht auf den Mund gefallen und hat einen Hang zum Rotwein, den sie im Laufe des Abends irgendwann aus der Flasche trinkt. Ihre Kanzlei ist auch keine Goldgrube, genau wie bei Judith.
Die jüngste Schwester ist Christin (Silke Krellenberg), die von den beiden anderen in konstanter Bosheit Flöckchen genannt wird. Flöckchen wie etwas sehr Zartes, Schwebendes, schön anzusehen, aber im Grunde nicht weiter ernst zu nehmen. Ein Leichtgewicht.
Das ist das Personal, mehr Leute sieht man nicht auf der Bühne. Aber zwischen ihnen entwickelt sich die Geschichte, und man bekommt eine Ahnung, warum man von Familienbande spricht.
Ihr Vater ist gestorben, jetzt sehen sie sich wieder. Da werden alte Rechnungen aufgemacht und alte Kâmpfe gekämpft. Da hat es Wunden gegeben, die nicht gut verheilt sind. Es geht ordentlich zur Sache, derbe auch mal. Und es schält sich heraus, dass sie ihren Vater eigentlich gar nicht gekannt haben. Bis auf Flöckchen, die in Kontakt mit ihm war und ihn Joe nennt, Joe, der sich einen Porsche gekauft hat, mit dem er allerdings vor zwei Tagen in den Tod gefahren ist.
Die Inszenierung von Wolfgang Benninghoven lässt den Figuren Raum für manchen Lacher, aber es ist kein Abend zum Schenkelklopfen. Dafür wird einem vorgeführt, wie ein Kampf ums Erbe aussehen kann, wenn es statt um Trauer ums Geld geht. Da treten drei Persönlichkeiten an, die alle ihre eigenen Pläne verfolgen. Und die sich immer wieder direkt ans Publikum wenden, was bei einem niederdeutschen Theaterstück ebenso überraschend ist wie der Umgang mit veralteten Geschlechterrollen.
Es ist eine Übung in Verschlagenheit, bei der nackte Gier ebenso im Zentrum steht wie angeknackste Charaktere und bei der die Schauspielerinnen immer mehr hineinfinden in ihr Spiel. Und bei der alles auf ein Bild zuläuft, das erst unscheinbar an der Wand hängt. Am Ende gab es großen Premierenapplaus.

 

„Achtertücksche Süstern“ oder „Die gefälschte Wahrheit“ bei der Niederdeutschen Bühne
Lübeckische Blätter 17/2023 |Jutta Kähler
Das Niederdeutsche entfaltet doch immer seinen ganz eigenen Reiz. Was sagt schon „fies“ oder „hinterhältig“ gegen „achtertückisch“ aus? Peter Buchholz nannte seine Komödie in der hochdeutschen Fassung „Gefälschte Wahrheit“. Der Titel der Niederdeutschen Übertragung (Kerstin Stölting) rückt die drei Protagonistinnen, die Ärztin Judith, ihre Schwestern Eva und Christin, die Jüngste, „Flöckchen“ genannt, in den Mittelpunkt.
Was die Drei zusammenführt, ist der überraschende Tod des Vaters, von Flöckchen „Joe“ genannt, beziehungsweise der sich zuspitzende Kampf ums Erbe. Zu holen gibt es etwas, das zeigt schon das Bühnenbild. Der Vater hat sich vom Schrotthändler zum Antiquitätenhändler hochgearbeitet, gönnt sich eine modern-minimalistisch eingerichtete Wohnung, Kunst an der Wand: „Die Metamorphose der Sonne“ von dem bei Versteigerungen hoch gehandelten Maler La Place, und einen Porsche, mit dem er sich zu Tode fährt. Eine junge Lebensgefährtin hat er sich auch zugelegt: Marie, die nicht auftaucht, aber doch eine wichtige Rolle spielt.
Wenn´s um Erben geht, brechen alte Konflikte auf, die bis in die Kindheit der Schwestern zurückreichen, der Ton, die Vorwürfe verschärfen sich. Da wird wenig schwesterlich ausgeteilt: „Du unverschämte Kröte.“ Kirsten Mehrgardt ist die in Geldnöten steckende Ärztin, deren neue Praxis viel Geld verschlungen hat und die sich am liebsten mit dem erhofften Erbe von ihrem Mann und dessen kostspieligem Hobby, einem erfolglosen Rennpferd, trennen möchte. Die äußere Eleganz verbirgt nur mühsam ihre innere Anspannung, schmallipig teilt sie aus, schnappt schnell verbal zu und greift immer wieder zu Herztropfen (oder ist in dem Fläschchen vielleicht doch etwas Hochprozentiges verborgen?), horcht sich auch schon mal theatralisch mit einem Stethoskop selbst ab.
Anneli von Pietrowski als Anwältin Eva ist immer noch flippig, greift beherzt zur Rotweinflasche, vielleicht kein Wunder nach missglückten Beziehungen und drei Kindern, für die die verschiedenen Väter nicht zahlen, ein „Flittchen“ schon zu Jugendzeiten in den Augen des Vaters. Berufliche Beziehungen möchte man zu den beiden Schwestern nicht knüpfen, dennoch entwickelt man Sympathie für sie beim Zuschauen. Das liegt auch an den Momenten der Zuwendung, in denen die Schwestern sich manchmal wieder annähern, und an den Monologen, in denen sich die Drei aus dem Handlungsverlauf lösen, an die Rampe treten und sich mit Erinnerungen und Reflexionen direkt ans Publikum wenden. Die kleinen musikalischen Ankündigungen dieser Passagen sind da eher überflüssig.
Am unscheinbarsten erscheint zunächst Silke Krellenberg als Christin, das „Flöckchen“. Sie stand dem Vater am nächsten und, wie sich herausstellt, ebenso Vaters Altersliebe Marie. Die Offenbarung dieser lesbischen Beziehung entlockt dem Publikum hier und da ein deutlich vernehmbares „Oh“. Von Krimispannung zu sprechen, ist wohl verfehlt, aber Flöckchen tritt, wenn es zum Schluss um das Erbe des Gemäldes von La Place geht, mit wahrlich achtertückischer Energie in den Vordergrund und es gibt eine doppelte, hier nicht zu verratende Pointe um „Die gefälschte Wahrheit“.
Die Stückwahl überzeugt, stellt aber auch den Regisseur Wolfgang Benninghoven vor Schwierigkeiten, Bewegung in ein Spiel zu bringen, das überwiegend von Gesprächen, Auseinandersetzungen, Dialogen lebt. So liegt der Schwerpunkt dieses Abends zu Recht auf der Zeichnung von Charakteren mit all ihren Schwächen und dem Hang zum Achtertückischen und das fand beim Publikum, das bei der Premiere am 10. Oktober in den Kammerspielen noch vergeblich auf das Programmheft wartete, großen Anklang.

Lütte witte Siedenschoh“ – Premiere an der Niederdeutschen Bühne

Jutta Kähler

Roggen, Rüben und Kartoffeln müssen rein, aber das Personal fehlt. Ein Problem für Bauer Benno und seinen Sohn Fiete, der einmal den Hof erben soll. Aber es gibt noch andere Probleme: Fiete wagt seinem Vater nicht zu beichten, dass er sich mit Katharina, einer Hamburgerin, verlobt hat, die plötzlich vor der Tür steht. Haushälterin Lisa wartet seit Jahrzehnten, dass ihr Benno einen Heiratsantrag macht, aber eine unbezahlte Kraft ist ihm wohl lieber als eine Ehefrau. Ingo Sax (1940-2019) siedelt seine Komödie, die vor dreißig Jahren zum ersten Mal aufgeführt wurde, im Jahr 1909 an. Die Kostüme von Christa Walczyk führen das Publikum in das beginnende 20. Jahrhundert. Kaiser Wilhelm schaut noch von der Wand. Die Küche mit ihrem Holzfachwerk, einfachem Esstisch und Herd (Bühnenbild: Moritz Schmidt) zeugt nicht von Wohlstand, auch wenn Lisa das Silber putzt. Der einzige gepolsterte Lehnstuhl ist Benno vorbehalten

Bauer Benno ist nicht gerade ein Sympathieträger. Seinen Sohn bezeichnet er als „Torfkopp“, ihm rutscht schon mal die Hand aus, gerne vergleicht er Frauen mit Pferden (und niemand im Publikum protestiert!); allerdings leben Frauen länger, muss er zugeben. Hamburger sind für ihn alle Banditen und Sozialdemokraten. Eine Schwiegertochter aus Hamburg? „Nun geht die Welt unter!“ Seltsam, dass das Publikum ihn trotzdem ins Herz schließt? Das liegt wohl auch daran, dass sich Benno schnell in Trina, also Katharina, die Verlobte seines Sohnes verguckt. Da weiß er ja auch noch nicht, wer sie wirklich ist und dass sie aus Hamburg stammt. Uwe Wendtorff gibt seiner Figur Ecken und Kanten, strafft sich mit funkelnden Augen in neu erwachter Liebeslust, will seiner Angebeteten schwarze Lackschuhe schenken, die nicht passen, und letztlich weiße Seidenschuhe, die der Komödie den Namen gegeben haben.

Die Katharina-Trina von Helen Koch ist unbestritten das schauspielerische Zentrum der Aufführung. Zupackend, resolut, plietsch, will sie einen richtigen Kerl, kein Kind zum Ehemann:„Du bist ein Schissbüx.“ Da hat sie recht, schaut man sich den ungelenken Fiete (Robin Koch) an, der ins Stottern gerät, als er dem Vater seine Verlobung beichtet. Schnell verschafft sie sich die Achtung Bennos, und mehr als die. Da gilt es sich zu wehren, sich mit der Haushälterin Lisa (Antje Wendtorff) zu verbünden und eine letztlich erfolgreiche kleine Intrige anzuzetteln. Wie geht man am besten auf den verliebten, alten Gockel ein und vergrault ihn gleichzeitig damit? Katharina sorgt sich um seinen Blutdruck, verbietet ihm das Rauchen, weil sie ja noch lange etwas von ihm haben und samstags immer zum Tanz mit ihm gehen will, fünf Kinder will sie und ein sie begünstigendes Testament. Da agiert Helen Koch souverän und aus Benno wird eine Bangbüx, dem nur sein Sohn Fiete aus der Bredouille helfen kann.

Weibliche Solidarität siegt über einen alten Sturkopp, der endlich begreift, wer ihm schon so lange treu ergeben ist, auch Fiete wird langsam erwachsen und Katharina kann in lütten witten Siedenschoh Hochzeit feiern. Gefeiert wurde am Schluss der Premiere am 7. Februar 2023 das gesamte Ensemble und Karsten Bartels für die einfühlsame Inszenierung einer Charakterkomödie. Für ihr 40jähriges Bühnenjubiläum wurde Antje Wendtorff gewürdigt.

Nächste Vorstellungen in den Kammerspielen: 21. Februar, 8. März, 16. März, 2. April.

Veröffentlicht in:

Lübeckische Blätter, 188. Jahrgang, Heft 4, 25. Februar 2023, S. 62f.

Lübecker Nachrichten 08.02.2023

Lütte witte Siedenschoh“ – So war die Premiere der Niederdeutschen Bühne Lübeck
 
Reichlich Turbulenzen in der Bauernküche: Antje Wendtorff, Robin Koch (M.) und Uwe Wendtorff.In der Regie von Karsten Bartels wird aus dem Luststück von Ingo Sax kein derbes Bauerntheater. Erzählt wird vielmehr von einem Vater-Sohn-Konflikt, Selbstbehauptung und den Wegen, die die Liebe manchmal geht.
Oda Rose-Oertel
08.02.2023, 13:19 Uhr
 
Lübeck. Kleine weiße Seidenschuhe – „Lütte witte Siedenschoh“ – trägt eine Braut bei ihrer Hochzeit. Für Katharina aus Hamburg soll es bald soweit sein. Doch als sie ihren Verlobten, Bauernsohn Fiete, in einem Dorf in Schleswig-Holstein besucht, scheinen die Zukunftspläne der beiden plötzlich in weite Ferne gerückt zu sein. Mit dem Lustspiel des Hamburger Autors Ingo Sax (1940-2019) um die Liebe vor dem Hintergrund schwieriger sozialer Umstände hat die Niederdeutsche Bühne jetzt in den gut besuchten Kammerspielen am Theater Lübeck Premiere gefeiert.
Auf den ersten Blick sieht alles nach einer friedlichen Landhaus-Idylle aus: Die liebevoll gestaltete Kulisse (Bühnenbild: Moritz Schmidt) stellt eine rustikale Bauernhaus-Wohnküche um die Wende zum 20. Jahrhundert dar, mit urigem Kohleherd und Holzbalken. An der Wand ein Porträt von Kaiser Wilhelm II. Doch von der scheinbar rückwärtsgewandten Romantik bleibt nicht viel übrig. Die vier Menschen, die hier aufeinandertreffen, tragen zeitlose Konflikte miteinander aus und müssen sich immer wieder gegen verschiedene Widerstände behaupten. Es gibt Konflikte zwischen den Generationen, den Geschlechtern, Vater und Sohn. Und alles kreist um einen knorrigen alten Bauern und Hofherrn, einen echten Sturkopf, für den die Gefühle anderer nicht vorhanden zu sein scheinen.
Ein Mädchen vom Land für den Sohn
Der vordergründige Konflikt hängt sich daran auf, dass der von seinem Vater Benno Roggenkamp (Uwe Wendtorff) gegängelte, unbeholfene Bauernsohn Fiete (Robin Koch) sich heimlich mit der selbstbewussten, mittellosen Hamburgerin Katharina (Helen Koch) verlobt hat, es aber nicht wagt, dem alten Bauern reinen Wein einzuschenken. Natürlich soll der Sohn ein Mädchen vom Land heiraten, das auf dem Hof ordentlich mit anpacken kann und zudem noch ordentliche Mitgift liefert.
Bennos langjährige treue Haushälterin Lisa (Antje Wendtorff), die sich wiederum insgeheim eine Heirat mit Benno wünscht, verbündet sich mit Fiete und heckt mit ihm einen Plan aus, wie die Liebe doch noch zu ihrem Recht kommen kann. Als Katharina plötzlich unerwartet vor der Tür steht, beginnt ein großes Täuschungsmanöver gegen Benno. Der wandelt bald selbst auf Freiersfüßen, aber in die gänzlich falsche Richtung…

Regisseur Karsten Bartels hat das niederdeutsche Lustspiel nicht als Bauerntheater oder gar Schenkelklopfer inszeniert. Vielmehr lässt er seinen Schauspielern viel Raum, ihre hervorragend verkörperten Charaktere und deren Streben nach Glück sorgfältig und differenziert zu entfalten. Der Vater-Sohn-Konflikt steht im Mittelpunkt: Fiete muss endlich lernen, erwachsen zu werden und sich gegen seinen Vater zu behaupten. Die treibende Kraft dabei ist die resolute Katharina. Robin Koch verleiht seiner Figur eine glaubwürdige emotionale Tiefe, Mimik und Körpersprache spiegeln seine inneren Kämpfe wider. Zugleich entfaltet er vor allem mit Uwe Wendtorff eine Komik, die nie in den Klamauk abrutscht. Ein Highlight ist die Szene, in der Benno seinem Sohn das Walzertanzen beibringen will.

Uwe Wendtorff kann als Benno Roggenkamp viele Facetten ausleben – vom herrischen Sturkopf bis hin zum verblendeten Verliebten, der nicht merkt, dass er sich zum Narren macht, und der am Ende doch noch geläutert wird. Antje Wendtorff, die mit der Premiere zugleich ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum feierte und dafür auf der Bühne besonders geehrt wurde, spielt die ruhige Lisa unaufgeregt und natürlich. Zunächst scheint sie stets über den Dingen zu stehen. Das ändert sich erst, als „ihr“ Benno sich an Katharina ranmacht. Im Vergleich erfrischend jung, modern und selbstbestimmt kommt Helen Kochs Katharina daher. Ihr Markenzeichen sind knallrote Holzclogs (Kostüme: Christa Walczyk), die sie mit groben Wollsocken trägt. Da muten die schwarzen Lackschuhe, die Benno ihr zunächst schenken will, umso deplatzierter.
Textlast souverän gemeistert
Am Ende sei hier noch die souveräne sprachliche Leistung der vier Amateurschauspieler gewürdigt, die die Textlast des Stückes voller Leichtigkeit meistern.

Kritik Lübecker Nachrichten vom Donnerstag, 13.10.2022

SCHWER WAS LOS IN LÜBECKS HAIFISCHBAR

Mit ‚„Tüddelband“ und La Paloma“: Premiere der Niederdeutschen Bühne

VON DOROTHEA KURZ-KOHNERT LÜBECK.

Schon im Foyer der Kammerspiele hörte man maritime Klänge, und eine Spielerin mit Bauchladen verkaufte ein Heftchen mit Liedtexten. Denn in der Musikrevue „In de Haifischbar, dor is wat.  los!" war Mitsingen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Die erste Aufführung der Niederdeutschen Bühne Lübeck in dieser Spielzeit feierte eine vielbeklatschte Premiere.

Regisseur Philip Lüsebrink hat das Stück geschrieben und mit viel Schwung und Witz inszeniert. Versiert spannt er mit bekannten maritimen Melodien einen stimmigen dramaturgischen Bogen vom Anfang bis zum Schluss. So schmettert das Ensemble eingangs aus voller Kehle „In de Haifischbar, dor is wat los” und singt am Ende wehmütig winkend „In Hamburg sagt man Tschüss”.

Die Lieder und Texte des Stücks beziehen sich aufeinander, liefern sich gegenseitig Stichwörter. Über 30 Volkslieder, Schlager, Klassiker erzählen allesamt Geschichten von der Waterkant.  Übergänge bilden plattdeutsche Wortpassagen von den Gästen in der Haifischbar: Erfahrene Kapitäne blicken nostalgisch auf die Seefahrt zurück, ein Touristenführer (Heino Hasloop) erzählt über die Hamburger Elbphilharmonie und spinnt Seemannsgarn über die „Kömbrandbrücke*. Witze und Döntjes sorgen für Lacher. In der legendären Haifischbar auf St. Pauli darf jeder zu Wort kommen, ist jeder willkommen - ob schrullige Klofrau (Kirsten Mehrgardt) oder feine Dame von der Elbchaussee (Anneli von Piotrowski). Kneipenwirte (Christa Walczyk  und Robin Koch) sorgen für stets volle Gläser und gute Laune, Bühnenbildner Moritz Schmidt hat die Hafenkneipe als einen urigen, gemütlichen Ort geschaffen: mit Tresen, kleinen Tischgruppen, verrauchten Wänden und reichlich maritimem Schnickschnack. Dort agierten voller Spielfreude knapp zwei Dutzend Spielerinnen und Spieler der Niederdeutschen Bühne. Sie sangen live nach der vom Hamburger Theatermusiker Stefan Hiller arrangierten Playback-Musik - als Solisten oder im Chor. Zu den Publikumslieblingen gehörte zweifellos die talentierte zwölfjährige Lara Marie Engelhardt, die als „Klein Erna” tanzend, singend, Witze erzählend vielfach wie ein Nummerngirl über die Bühne wirbelte und mit ihrer Interpretation vom „Tüddelband" das Publikum begeisterte. Die Zuschauer sangen mit, weil die meisten den Text kannten. Leider scheiterte die gute Idee mit dem Mitsingen an den Lichtverhältnissen im Zuschauerraum- zu dunkel. Texte konnten nur die lesen, die ihre Handys zückten und die Taschenlampe einstellten. Also blieb bei den meisten Liedern nur rhythmisches Klatschen, von dem das begeisterte Publikum allerdings ausgiebig Gebrauch machte. Oder es wurde gepfiffen wie beim Auftritt der leicht bekleideten beiden Prostituierten, gespielt von Anna Jerbov und Silvia Kiel. Mit einem spektakulären Federschmuck (Kostüm Christa Walczyk) gaben sie „Mississippi Lilli" zum Besten. Applaus ernteten Helen Koch für „Lili Marleen" und Britt Schumacher für ihren herzzerreißend-hysterischkomischen Auftritt bei „Ein Schiff wird kommen“. Mit einem klischeehaften schwulen „Hallöchen" betrat Arne Warnke die Bühne und erhielt für seinen gesungenen und mutig getanzten „Hein Mück" kräftigen Beifall. In Kapitänsuniform riefen Heinz Jenkel mit „La Paloma" und Arno Jagusch mit „Junge komm bald wieder” Erinnerungen an die legendären Sänger Hans Albers und Freddy Quinn wach. Nach einer nostalgischen musikalischen Zeitreise über die Meere und durch die Stürme des Lebens verließ ein beschwingtes Publikum nach gut zwei Stunden das Theater.

Anmerkung der Niederdeutschen Bühne Lübeck:

Wir entschuldigen uns vielmals für das schwache Licht im Saal während der Premiere. Der Fehler ist behoben, jetzt können die Texthefte während der Vorstellung zum mitsingen auch gelesen werden.

Liebe und Schokolade

Premiere der Niederdeutschen Bühne mit der Komödie  „Een Hart ut Schokolaad“

Von Dorothea Kurz-Kohnert

Lübeck. Das Stück kann seine französischen Wurzeln nicht verleugnen: Es geht um Liebe und Schokolade, die Komödie hat das Oh, la la eines schönen Frühlingstages: „ Een Hart ut Schokolaad oder Heinrich sien, sötes Leven‘ “ feierte jetzt mit der Niederdeutschen Bühne Lübeck seine erfolgreiche Premiere in den Kammerspielen. „ Coeur Chocolat“ ist das Erstlingswerk der 33-jährigen Frankokanadierin Valerie Setaire. Bei der niederdeutschen Fassung des Boulevardstücks „Herz aus Schokolade“ führte Sascha Mink Regie. Die Komödie um den drohenden Niedergang einer der traditionsreichsten Schokoladerien Norddeutschlands könnte man auf Hochdeutsch kurz so beschreiben: textlastig, es wird viel getrunken, Komik durch klischeehafte Figuren, Entwicklung vorhersehbar. Übertragen ins Plattdeutsche heißt das: Dor ward veel snackt up de Bühn, die buddel geiht jümmers wedder rüm. Urige Typen gift dat dor, kannst fix över smuustern, un ton’n Sluss siegt de Leev. Das Plattdeutsche klingt nicht nur viel sympathischer, sondern entspricht auch dem, was die Inszenierung von Sascha Mink erreicht: Unterhaltung mit Leichtigkeit und Esprit. Die Wohlfühl-Atmosphäre unterstreicht das zauberhafte Bühnenbild in Türkis von Moritz Schmidt und Eva Knüppel. Das „Söte Leven“, so der Name von Unternehmen und Ladenlokal, ist auf dem absteigenden Ast. Denn Eigentümer Heinrich (Hans- Hermann Müller ein Sturkopf mit „Schokoladenherz“), hat aus Kummer über den Tod seiner Ehefrau Moni seinen Geschmackssinn verloren. Sein Freund und Arzt Ludwig Mager will helfen. Heino Hasloop gibt diesen als eine trinkfreudige Seele von Mensch, der sich gern als „RTT“, als „Rum-Trüffel-Tester“, zur Verfügung stellt. Zusammen mit der Praktikantin Patricia (Alice Soetbeer, jung, plietsch, energisch und kreativ) gibt er eine verquere Kontaktanzeige auf, die für amüsante Verwirrungen sorgt. Hier darf Kirsten Mehrgardt auftrumpfen und die Lacher ernten. Als Star des Stücks verkörpert sie virtuos gänzlich unterschiedliche Frauentypen: die Landpomeranze, die Esoterikerin, die Coole, die Peitsche schwingende Domina und schließlich die Frau, die ihrem Verehrer zuliebe Job und Wohnung aufgegeben hat und enttäuscht wurde. Am Ende aber,, so viel sei verraten, fügt sich alles aufs Schönste.

Ein kriminelles Stelldichein

Manfred Upnmoor inszenierte bei der Niederdeutschen Bühne eine Kriminalkomödie aus Frankreich

Von Konrad Dittrich

Lübeck. Wenn ein alter Esel aufs Eis geht, um zu tanzen, und sich dazu eine junge Partnerin wählt, kann er leicht einbrechen. Der in die Jahre gekommene Kriminalschriftsteller Henry plant mit seiner Freundin Monika kein Paarlaufen auf dem Eis. Er denkt an geheime Schäferstunden im Landhaus. Jedoch: Es kann der Frömmste nicht in Frieden flirten, wenn es Verwandten nicht gefällt. Das alles ist bei der Niederdeutschen Bühne zu erleben. In den Kammerspielen hatte die Kriminalkomödie „Dat kummt all´ns anners, as du denkst“ von Jean Stuart Premiere. Turbulent geht es auf der Bühne zu. Für das gediegene Landhaus mit Kaminwand aus Naturstein und in hellen Farben erhielten Bühnenbildner Moritz Schmidt und Eva Knüppel Szenenapplaus. Es kommt alles anders als geplant. Darauf wird das Publikum im Stücktitel vorbereitet. Ein Stück mit langem Werdegang: geschrieben von einem Franzosen, in eine deutsche Fassung gebracht von Friedrich Kallina, ins Niederdeutsche übertragen von Hans Jürgen Ott, gekürzt und mit den schönsten Szenen auf der Bühne gestellt von Regisseur Manfred Upnmoor. Seine pflichtbewusste Haushälterin für ein Wochenende aus dem Landhaus zu vergraulen, war für Henry schwer genug. Aber dann brechen Freunde und Verwandte gleich im halben Dutzend ein, samt des Schwerenöters Ehefrau und Schwiegermutter. Da helfen weder vorgetäuschte Krankheiten noch Abgabetermin oder Treffen beim Verleger. Gegen drei Frauen und einen Freund kommt Henry nicht an. Über weitere Pläne nachzudenken, erübrigt sich, weil zwei Bankräuber das Landhaus als Versteck erkoren haben. Die Bewohner werden zu Gefangenen. Capitano Giovanni übernimmt die Befehlsgewalt und schickt alle erst einmal in die Betten. Etwas übernächtigt trifft sich am nächsten Morgen die Gesellschafft im Salon, wo sich unerwartete Dinge zutragen. Plötzlich durchsucht die Polizei die Gegend. Da zieht sich mancher einen Verdacht zu, aber den Kopf wieder aus der Schlinge. Gott Amor flickt alte oder schafft neue Verhältnisse, und natürlich gibt es einen Schlussgag, der hier nicht verraten werden soll. Die zehn Mitwirkenden haben ihre Freude am Spiel. Manfred Upnmoor lässt das Geschehen flott über die Bühne gehen, so dass man manchmal ganz schön aufpassen muss. Aber Hauptsache Spaß und gute Unterhaltung. Werner Tietjen hat eine Paraderolle als passionierter Seitenspringer. Wie er verzweifelt versucht, sich aus der Affäre zu ziehen, ist köstlich anzusehen. Robin Koch gibt den italienischen Gangster mit gut vorgetäuschtem Ausländer-Idiom. Dass er plötzlich Plattdeutsch kann, ist genauso überraschend wie die Genesung seines taubstummen Kollegen (Günter Kassow). Dieter Koglin als Sparkassenchef denkt bei allen Katastrophen nur daran, wie er die geklauten Scheine als Einlage für sein Institut bekommen kann. Seine junge Braut (Jenny Walczyk) beachtet er kaum. Cornelia Römer als angetraute Ehehälfte des Hausherrn ist zuerst misstrauisch, dann äußerst liebevoll. Peter Wiechmann spielt den leicht begriffsstutzigen Kommissar. Margrit Cuwie-Turpin in der Rolle der Schwiegermutter überblickt manche Situationen schneller als die jüngeren  Semester. Das Dienstmädchen (Christin Walczyk) greift nach dem Glück, das sich so bald in der Einsamkeit nicht wieder einstellen dürfte. Es gab herzlichen Applaus für alle Beteiligten.

Kritik aus HL-Live 09. Mai 2019

Süßes bei den Niederdeutschen: Schokoherzen und Pralinen

Zu alten Handwerken gehören bestimmte Fähigkeiten. Ein Beispiel: Was wäre  ein Chefkoch ohne seine Geschmacksnerven? Wie sollte er feine Soßen  abschmecken? In der neuen Produktion der Niederdeutschen Bühne Lübeck geht  es zwar nicht um einen Küchenchef, aber um einen norddeutschen  Chocolatier, dem mit der Ehefrau der Geschmackssinn abhanden kam.

Heinrich  Söte ist in Nöten! Zu erleben in den Kammerspielen.    Bei einer Chocolaterie – oder schreibt man besser Schokolaaderie? – denkt  man natürlich sofort an Frankreich, nicht unbedingt an Norddeutschland.  Und auf eine Französin geht die Komödie zurück. Valerie Setaire, Jahrgang  1986, ist in Frankreich geboren, inzwischen nach Kanada ausgewandert.  „Coeur Chocolat“ hieß ihre Komödie, bevor sie ein deutsches, danach sogar  ein niederdeutsches Gewand bekam.

Ihr Titel nun: "Een Hart ut Schokolaad oder Heinrich sien 'sötes Leven'". Eine Boulevard-Komödie. Sie wurde von Angela Burmeister ins Deutsche übertragen, bekam von Ulrike Stern und Rolf Petersen die niederdeutsche Fassung. Das "süße Leben" aus dem Titel bezieht sich auf den Schokoladenmeister Heinrich Söte. Seit Jahrzehnten herrscht er in seinem norddeutschen Süßigkeitenparadies. Aber seit jeder Supermarkt feinste Schokoladen, Pralinen, Trüffel anbietet, ist der alte, leicht angestaubte Laden nicht mehr konkurrenzfähig.

Und dann die Katastrophe mit den verlorenen Geschmacksknospen – der süße Heinrich kapituliert. Tradition ist offenbar nicht mehr gefragt. So malt er in Gedanken und dann mit Kreide auf eine Tafel "Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe". Aber muss es so weit kommen? Da gibt es zum Glück die talentierte Praktikantin Patrica, die den Markt und die Moderichtung kennt. Gegen den Sturkopf von Chef anzurennen, ist allerdings keine Kleinigkeit.

Dann ist da noch der Freund des Hauses, Dorfdoktor Ludwig. Seine Diagnose: Eine neue Frau muss her. So wird aus der Anzeige, in der eine Ladenhilfe gesucht wird, eine Kontaktanzeige für die besseren Kreise im Internet, wovon der gute Heinrich natürlich nichts ahnt. Und nun dreht sich das Karussell der Irrungen und Wirrungen.

Regisseur Sascha Mink mutet den vier Darstellern einiges an Text zu. Französischer Boulevard besteht nunmal aus geschliffenen Dialogen und auf- und zuklappenden Türen. Vier Darstellernamen weist das Programm aus, aber zehn Rollen. Wie das sich auflöst, sollte man erlebt haben. Einen Riesenanteil am Erfolg hat Kirsten Mehrgardt, die von der Lebedame bis zum Vamp alles drauf hat! Hans-Hermann Müller ist als knorriger Besserwisser ebenfalls in seinem Element. Alice Soetbeer als Praktikantin muss allerhand einstecken, bis sie sich durchgesetzt hat, und der Dorfdoktor von Heino Hasloop entpuppt sich als Facharzt für Speisen und Getränke.

Moritz Schmidt und Eva Knüppel haben ein stimmiges Bühnenbild gebaut, eine  schmucke Verkaufsstube, die sich entstauben lässt. Ansonsten amüsierten  sich die Zuschauer am gestrigen Dienstag bestens, und wer wollte, konnte  in der Pause süße Köstlichkeiten probieren.


Premiere bei der Niederdeutschen Bühne: Plattdeutsches Pralinenvergnügen

Jutta Kähler

Im 100. Jahr ihres Bestehens serviert die Niederdeutsche Bühne Lübeck dem Publikum einen besonders appetitlichen Leckerbissen. Auf Umwegen vom Französischen (das Original stammt von Valerie Setaire) über das Hochdeutsche hatte am 16. 4. 2019 in den Kammerspielen die niederdeutsche Version  der  romantischen Boulevardkomödie unter dem Titel Een Hart ut Schokolaad oder Heinrich sien „sötes Leven“ Premiere.

Das söte Leven scheint für den Chocolatier Heinrich Söte vorbei zu sein: Mit seiner Frau hat ihn auch sein Geschmackssinn verlassen, die Pralinen schmecken dementsprechend.  Dass es nicht zur Geschäftsaufgabe  kommt, dafür sorgen sein Freund Dr. Mager und seine Praktikantin Patricia. Sie wollen dem Liebesleben und dem Geschäft wieder aufhelfen: Eine Anzeige bei einer Partnerbörse wird geschaltet. Die - und  damit die bewerbungswilligen Damen – überschneidet sich mit Sötes Suche nach einer neuen Verkäuferin: Anlass für turbulente Missverständnisse und für den Auftritt von sechs Bewerberinnen, alle gespielt von Kirsten Mehrgardt. Man begegnet ihr als „Elite“-Frau, als Charlotte im lila Kostüm („Ich kenne meinen Marktwert genau.“ – Nein, nicht, was Sie jetzt denken!), als high-verhuschte Jackelin im Regenbogenschlabberlook, durch den Raum schwebend,  ein Relikt der späten 60er Jahre, als energische Isabell im schwarzen Hosenanzug, als Domina mit Lackmantel und Peitsche (Christa Walczyk, Theater Lübeck, sorgt jeweils für das passende Outfit) und letztlich als anfangs traurig verlassene, in Schokolade Trost suchende, zunehmend patente, die Schokolaterie wieder auf Vordermann bringende Sophie. Kirsten Mehrgardt versprüht Spielfreude, überzeugt in vielseitiger Mimik, Gestik und Sprache wie in der Darstellung der verschiedenen Frauentypen. Dass diese klischeehaft gezeichnet sind, tut dem Vergnügen keinen Abbruch.

Hans-Hermann Müller („Ich kann die Schokoladenaura von Menschen sehen!“) tritt anfangs als eher ruppiger Polterer auf, ist Neuerungen in der Schololaterie abgeneigt und zeigt am Schluss, dass auch sein Herz wie Schokolade schmelzen kann. Alice Soetbeer als Praktikantin mit dem Drang nach neuen Pralinenkreationen (Grauburgundertrüffel!) wirkt im Spiel mitunter noch etwas angespannt, Heino Hasloop als Freund und Arzt probiert lieber den Rum als die Rumtrüffel und versucht als Rosenkavalier Sophie zu umgarnen.

Das Stück lebt von rasanten Kostümwechseln und den Missverständnissen, bei denen das Publikum mehr weiß als die handelnden Personen. Nach der Pause lässt dieser Schwung, zu dem Regisseur Sacha Mink  die Darsteller anregt, nach, es entstehen im „romantischen“ Teil der Komödie Längen. Halten wir jedoch fest: Die Schokolaterie läuft wieder, sogar die Landesregierung ordert Pralinen. Was will man mehr? Vielleicht ein Tütchen Pralinen in der Pause?

Im Bühnenbild (Moritz Schmidt, Eva Knüppel) stimmt einfach alles: von der alten Registrierkasse über den Bistrotisch bis zur Schaufensterdekoration. Und vergessen wir nicht: Die Inszenierung zeigt, dass französische Leichtigkeit und Spritzigkeit der Dialoge nicht verloren gehen müssen und dass auf grobe Effekte  bei der Inszenierung einer Komödie verzichtet werden kann. Dieses „süße Leben“ kann man goutieren


Lübecker Nachrichten 17.04.2019

Das Stück kann seine französischen Wurzeln nicht verleugnen: Es geht um Liebe und Schokolade, die Komödie hat das Oh, là, là eines schönen Frühlingstages: „Een Hart ut Schokolaad oder Heinrich sien ‚sötes Leven’“ feierte jetzt mit der Niederdeutschen Bühne Lübeck seine erfolgreiche Premiere in den Kammerspielen. „Coeur Chocolat“ ist das Erstlingswerk der 33-jährigen Frankokanadierin Valerie Setaire. Bei der niederdeutschen Fassung des Boulevardstücks „Herz aus Schokolade“ führte Sascha Mink Regie.

Die Komödie um den drohenden Niedergang einer der traditionsreichsten Schokoladerien Norddeutschlands könnte man auf Hochdeutsch kurz so beschreiben: textlastig, es wird viel getrunken, Komik durch klischeehafte Figuren, Entwicklung vorhersehbar. De Buddel geiht jümmers rüm.

Übertragen ins Plattdeutsche heißt das: Dor ward veel snackt up de Bühn, die Buddel geiht jümmers wedder rüm. UrigeTypen gift dat dor, kannst fix över smuustern, un ton’n Sluss siegt de Leev. Das Plattdeutsche klingt nicht nur viel sympathischer, sondern entspricht auch dem, was die Inszenierung von Sascha Mink erreicht: Unterhaltung mit Leichtigkeit und Esprit. Die Wohlfühl-Atmosphäre unterstreicht das zauberhafte Bühnenbild in Türkis von Moritz Schmidt und Eva Knüppel.

Das „Söte Leven“, so der Name von Unternehmen und Ladenlokal, ist auf dem absteigenden Ast. Denn Eigentümer Heinrich (Hans-Hermann Müller, ein Sturkopf mit „Schokoladenherz“) hat aus Kummer über den Tod seiner Ehefrau Moni seinen Geschmacksinn verloren. Sein Freund und Arzt Ludwig Mager will helfen. Heino Hasloop gibt diesen als eine trinkfreudige Seele von Mensch, der sich gern als „RTT“, als „Rum-Trüffel-Tester“, zur Verfügung stellt. Zusammen mit der Praktikantin Patricia (Alice Soetbeer, jung, plietsch, energisch und kreativ) gibt er eine verquere Kontaktanzeige auf, die für amüsante Verwirrungen sorgt.

Esoterikerin und Domina

Hier darf Kirsten Mehrgardt auftrumpfen und die Lacher ernten. Als Star des Stücks verkörpert sie virtuos gänzlich unterschiedliche Frauentypen: die Landpomeranze, die sich für die Stadt chic gemacht hat, die Esoterikerin, die im Walle-Walle-Gewand umherschwebt, die Coole, die „ihren Marktwert“ kennt, die Peitsche schwingende Domina und schließlich die Frau, die ihrem Verehrer zuliebe Job und Wohnung aufgegeben hat, und enttäuscht wurde.

Am Ende fügt sich alles aufs Schönste (Komödienhafte): Heinrich verliebt sich in die verlassene Sophie, sie sich in ihn, die Praktikantin darf ihre neuen Pralinenkreationen in der altehrwürdigen Schokoladerie präsentieren und Doktor Mager? Er freut sich – und mit ihm das Publikum – über das neue Glück. 

Dorothea Kurz-Kohnert



HL-lIVE

"Der Heiligenschein des seligen Jensen erhält Risse"

Die Niederdeutsche Bühne Lübeck feiert erfolgreiche Premiere mit  "De selige Jensen"

Ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum beging am Dienstag Karin Vogt bei der Niederdeutschen Bühne. Sie gestaltete die Hauptrolle im Stück "De selige Jensen" in den Kammerspielen. Natürlich gab es am Schluss einen besonderen Blumenstrauß von Bühnenleiterin Brigitte Koscielski und eine  Ehrung vom Niederdeutschen Bühnenbund.

"De selige Jensen" ist ein von Gerd Meier ins Niederdeutsche übertragenes Stück des engagierten, auch sozialkritischen Dänen Carl Erik Martin Soya (1896-1983). Er hat seine Zeitgenossen oft provoziert, gegen Klischees  angeschrieben. In diesem Fall durchlöchert er die Wohlanständigkeit von Kapitän Jensen, der nach der Methode eines alten Seemannsliedes lebte: "Was weißt denn du, mein Kind, wie treu Matrosen sind? Sie haben nur eine Braut – in jedem Hafen!"

Kapitän Jensen hatte offenbar neben seiner Ehefrau Emilie nicht nur Bräute in Übersee, sondern auch in der Heimat, während die Gattin unverbrüchlich an seine Treue glaubt. Nun ist Jensen tot. Seine Witwe lebt in Erinnerungen, ist davon überzeugt, dass sein Geist noch um sie herum ist. Sie unterhält sich mit ihm, nimmt in Kauf, dass die Umgebung sie für verrückt hält. Im Laufe des Stückes muss sie einsehen, dass der Heiligenschein, den sie ihrem Alfred angedichtet hat, Risse bekommt.

Die Jubilarin Karin Vogt spielt das großartig, trifft die unterschiedlichen Gefühlslagen genau, Ihre Schwester Annie (Anneli von Piotrowski) ist von ganz anderem Kaliber, vom Leben und seinen Enttäuschungen geprägt, realistisch, ohne bitter geworden zu sein. Hans-Hermann Müller spielt einen Zeitgenossen, der stets auf seinen Vorteil bedacht ist, selbst wenn er für angeblich gute Zwecke sammelt.

Christa Walczyk steht als Haushaltshilfe Walburga mit beiden Beinen im  Leben, nimmt Leben und Liebe eben wie sie kommen. Ein junges Paar  verkörpern Jenny Walczyk und Henrik von Piotrowski mit Schwung und Sympathie. Regie führte Karsten Bartels. Er sparte sich Steigerungen für den zweiten Teil auf, führte seine Mitstreiter sicher durch vier Akte. Das  Bühnenbild von Moritz Schmidt und Eva Knüppel zeigt eine gediegene Wohnstube mit Erinnerungen des seligen Kapitäns an den Wänden.



Lübecker Nachrichten


„Generation Hamburger“ unter Dampf

Die Niederdeutsche Bühne Lübeck feiert erfolgreiche Premiere mit „Hartlich willkamen“

„Wi sünd de Hamburger-Generation. De Jungs sünd de bövere Hälft un uns Öllern de ünnere. Un wi dortwünschen!“ So fühlen sich Elli und Georg Böckmann – wie in einem Burger eingeklemmt zwischen ihren Kindern, die endlich flügge geworden sind, und ihren Eltern, die sich ins Nest zu ihren Kindern flüchten.

„Hartlich willkamen“ heißt die Komödie, die Oberspielleiter Frank Gruppe vom Ohnsorg Theater Hamburg ins Niederdeutsche übertragen hat. Das Stück wirft mit Humor ein Licht auf die Gratwanderung der mittleren Generation zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Verantwortung. Die Ängste der Alten vor Krankheit und Überforderung durch den technischen Fortschritt nimmt er ernst. Elli (mitfühlende und genervte Tochter – Brigitte Barmwater) und Georg (liebenswerter Drückeberger – Holmer Bastian) nehmen zähneknirschend Alfred, Ellis 80-jährigen Vater, auf (schrullig – Heino Hasloop in seiner Jubiläumstrolle).  Alfred begeistert sich für die Erforschung der „Kl“, der künstlichen Intelligenz. Georgs Mutter (verschroben – Margrit Hammar) nimmt bei ihren Kindern Zuflucht, weil sich in ihrem Haus „Kakalatschen“ breitgemacht haben. Sichtlich gestresst erträgt das Paar auch die ständigen Besuche und Anrufe von Ruth, die meint, ohne ihre „Fürsorge“ sei ihr Mann Alfred während ihrer Trennung „op Proov“ verloren (schnodderschnäuzig – Brigitte Koscielski).

Mit dem Bühnenbild ist Moritz Schmidt und Eva Knüppel ein großer Wurf gelungen. Weiße sich überlappende Wände von rechts und links verjüngen sich tunnelartig zum Bühnenhintergrund hin und rahmen eine mittige Tür ein. Durch deren Milchglasschreibe sieht der Zuschauer im Schattenriss, wie die Besucher nach und nach mit ihren Koffern anrücken, während Elli und Georg Pläne für ihr zukünftiges,  "freies“ Leben schmieden.

Die Lübecker Inszenierung von Wolfgang Benninghoven vom Theater Combinale zeigt: „Wir können auch anders.“ Plattdeutsches Volkstheater muss nicht zwangsläufig schenkelkopfenden Humor in heimeligen Ambiente bedeuten und kann trotzdem amüsieren und bestens unterhalten.

Besucherin Kathrin Weiher, Lübecker Kultursenatorin, kommentierte: „Mein Mann und ich sind absolut begeistert – die Regie und die Darsteller waren ausgesprochen gut!“ Die Niederdeutsche Bühne Lübeck halte die regionale Identität lebendig, lobt sie. Weiher: „Diese muss gepflegt werden!“


Lübecker Nachrichten

Neid, Eifersucht und Heuchelei

Premiere der Niederdeutschen Bühne Lübeck: „De letzte Willen“  

Die Beerdigung ist eben vorbei. Die Angehörigen legen eine Schweigeminute vor dem Bild der toten Tante Martha ein: „Achtunföftig, negenunföftig, fäddich!“ Und gleich geht der Streit ums Erbe los. Darin steckt viel komisches Potenzial: Neid, Gier, Eifersucht und Heuchelei. Am Dienstagabend führte die Niederdeutsche Bühne Lübeck „De letzte Willen“ von Fitzgerald Kusz in den Kammerspielen des Theaters Lübeck zum ersten Mal auf.

Es ist immer wieder bewundernswert, mit wie viel Engagement und Spielfreude die Niederdeutsche Bühne zu Werke geht. Allerdings hat diese Inszenierung Schwächen. Die Charaktere sind holzschnitthaft – was nicht schlecht sein muss. Vor allem Magda Schulz als so scharfzüngige wie egoistische Olga und Hans-Hermann Müller als polternder Raffzahn Heinz holten einiges an Komik aus dem Text, auch Brigitte Barmwater als völlig überdrehtes Luder Siggi. Die Regisseurin Regina Burau hat nicht erkennbar versucht, originell zu sein. Auch das muss nichts Schlechtes sein. Aber das Stück ist zu schwach, um es so schlicht auf die Bühne zu bringen. Der Handlung fehlen die Überraschungen. Die Intrige, die selbstverständlich dazugehört, ist ziemlich einfallslos, und die Wendung, nach der die gierigen Angehörigen am Ende doch leer ausgehen, ist es nicht minder.

Immerhin war es eine schöne Idee, Elisabeth Schütz, Veteranin des Ensembles, als Tante Martha aus dem Jenseits sprechen zu lassen. Der Applaus war freundlich, aber verhalten.

Lübecker Nachrichten

Von allen guten Geistern heimgesucht   … und auch das Premierenpublikum war begeistert:

Die Komödie „Gode Geister“ an der Niederdeutschen Bühne Lübeck.  

>Ein bisschen ist man sich in den Kammerspielen vorgekommen wie im Weihnachtsmärchen – zwei weißgewandete Geister, ein Engel, die Geburt des Kindes bei leise rieselndem Schnee und ein bekehrter Atheist, der betend auf die Knie fällt. Jedenfalls passt die Aufführung hervorragend in die Adventszeit, und bei den Premiere-Zuschauern kam die plattdeutsche Komödie „Gode Geister“ bestens an. Regisseur Uwe Wendtorff gelingt es, nachdenkliche sentimentale Momente und deftige Komik auszuloten und zu einem unterhaltsamen Stück zu verweben. Wendtorff feiert mit dieser Inszenierung sein 40-jähriges Bühnenjubiläum bei der Niederdeutschen Bühne.

Die Geschichte von „Gode Geister“: Das Ehepaar Kehlmann ist bei einem Urlaub am Gardasee ertrunken und spukt nun in seinem Landhaus in Schmilau bei Ratzeburg herum. Denn im Gegensatz zu seiner Ehefrau Susi (gefühlvoll: Antje Wendtorff) ist der Krimi-Bestsellerautor Jakob (lässig: Jens-Peter Kraushaar) nicht gläubig und wird von Petrus an der Himmelspforte abgewiesen. Aus Liebe verzichtet auch Susi auf ihren reservierten Platz.  

Der Prolog schafft Klarheit  

Damit der Zuschauer gleich im Bilde ist, hat sich Uwe Wendtorff einen Kunstgriff einfallen lassen und dem Original einen selbstverfassten Text vorweg gestellt. Dieser stellt klar, wer auf der Bühne herumgeistert und warum sie es tun. Der Prolog wird auf ganz bezaubernde Weise von der talentierten Mia Großmann vorgetragen. Die elfjährige Lübeckerin thailändischer Herkunft erntet für ihren schelmischen Auftritt in astreinem Plattdeutsch den ersten Szenenapplaus.
Die Kehlmanns können zwar als Untote nicht richtig leben, aber sterben können sie auch (noch) nicht. So vertreiben sie sich mit harmlosen Späßen die Zeit, hängen Bilder schief und lassen Schlüssel verschwinden. Dieser Spuk treibt den Makler Markus Weber allerdings schier in den Wahnsinn. Hans-Gerd Willemsen spielt den Menschen, der an seinem Verstand zweifelt, ebenso überzeugend wie den etwas verschrobenen Engel, der in altmodischer Fliegermontur auf den Plan tritt.

Der Himmelsbote erscheint, um die neuen Mietern der Kate auf Wunsch der Kehlmanns zu unterstützen: Simon Willis (leidenschaftlich: Roland Gabor) ist ein Autor mit Schreibblockade, und seine Frau Felicitas Willis (resolut: Anja Giebelstein) erwartet ein Baby, was die mütterlichen Gefühle von Susi weckt.
Da die Kehlmanns wegen ihres luftförmigen Zustands nicht unmittelbar mit den Willis kommunizieren können, stattet Schutzengel die guten Geister mit der Fähigkeit zur Gedankenübertragung aus. Diese vollzieht sich per Handauflegen – das für Lacher und Heiterkeit beim Publikum sorgt.

Spontanen heftigen Applaus löst die Szene aus, als Martha Brodersen, Mutter von Feli, für ihre Boshaftigkeit bestraft wird. Susi übernimmt telepathisch die Regie. Wie ferngesteuert entpuppt sich die in schwarz gekleidete trauernde Witwe (temperamentvoll: Gabriele Meier) als Sexmonster, die sich lüstern auf den verdatterten Makler stürzt und ihre Bluse aufreißt. Uwe Wendtorff setzt hier gezielt auf publikumswirksames Spektakel – als Gegenpol zu den dialogreichen Passagen, die zumindest in der ersten Hälfte des Stücks überwiegen und ein bisschen ermüdend wirken.
Zu den dramatischen Höhepunkten gehört die Geburt des Babys, das der Zuschauer durch die Schilderung von Jakob und Susi miterlebt. Da das Leben des neuen Erdenbürgers gefährdet scheint, fängt Jakob Kehlmann, Atheist aus Überzeugung, an zu beten. Das Kind wird gerettet. Jakob und Susi schreiten am Schluss Hand in Hand durch das hellerleuchtete Himmelstor. Man mag diese Wendung zu romantisch oder kitschig finden oder sich sagen: Ende gut, alles gut – und kann schwelgen: „So schön wie im Märchen, aber viel lustiger“

Lübecker Nachrichten 

Die lustigen Mühen des Polizeialltags

„Minsch sien mutt de Minsch“: Premiere der Niederdeutschen Bühne Lübeck

In einer Zeit, in der es sogar in Polizeistationen noch ganz und gar gemütlich zuging, spielt die Komödie „Minsch sien mutt de Minsch“. Am Theater Lübeck feierte der Klassiker von Günther Siegmund eine vom Wind verwehte Premiere: Bei der Aufführung der Niederdeutschen Bühne Lübeck blieben einige Plätze leer. Während es draußen also stürmt und der Wind hörbar durch die Kammerspiele pfeift, ist es in Polizeimeister Wilkes Reich schön ruhig. Doch die Welt da draußen schickt Störenfrieden vorbei: Der Pastor sorgt sich um die Moral seiner Schäfchen. Ein Dieb klaut Witwe Wiggers zwei Hühner. Eine Nacktbaderin, der man das Kleid gestohlen hat, hockt verschämt hinter der Reviertür. All das hakt Wilke flott ab mit praktischem Täter-Opfer-Ausgleich, Schnellurteil – und viel Schnaps.

Als jedoch Gemeindediener Martin eine Leiche findet, schwant dem Polizeimeister Ungemach. Die Kripo soll doch anderswo Staub aufwirbeln, Martin die Leiche bitteschön der Polizei im Nachbarort vor die Türe „swuppdiwuppen“. Natürlich geht der Plan nicht auf. Zudem hat jemand Wilke wegen seiner entspannten Dienstauffassungen verpfiffen, ein „Undercover-Agent“ ermittelt schon. In dem Verwirrspiel tragen die Schauspieler dick auf: Torsten Bannow als hölzener Oberwachtmeister, der die Vorschriften liebt. Dieter Koglin pocht als „Paster“ auf Moral und Aufstand, aber seine roten Bäckchen leuchten doch dann besonders, wenn die Schnapsflasche kreist.

Und das tut sie so häufig, dass Polizeimeister Wilke (Wolfgang Max Reimer) ordentlich Schlagseite bekommt. Regisseur Karsten Bartels hat den detailverliebten Text mutig zusammengestrichen, aber die Komödie hat immer noch ihre zähen Momente. „`Nbüschn behäbig das Ganze“, hört man in der Pause – und freut sich über die Schlusspointe. Das Publikum verabschiedet das Ensemble nach diesem Lacher mit doppeltem Applaus, denn Dieter Koglin wird für sein 25-jähriges Bühnenjubiläum geehrt. 

Lübeckische Blätter

Back to the 50th mit der Niederdeutschen Bühne: „Minsch schien mutt de Minsch“

Das Bühnenbild, von Rainer Stute entworfen, versprüht den Charme der 50er Jahre: Dienststube des Polizeireviers, alles im dezenten Braun, Akten, Telefon mit Wählscheibe. Der Blick schweift durch das Fenster auf das Amtsgebäude auf der anderen Seite des Sees. Irritierend wirken nur die vielen ordentlich aufgereihten Schnapsgläser auf Polizeimeister Wilkes Schreibtisch – sie werden noch eine wichtige Rolle spielen. 

Günter Siegmunds Komödienklassiker „Minsch sein mutt de Minsch“ aus dem Jahre 1958 hat doch altersbedingt Staub angesetzt und Regisseur Karsten Bartels tut gut daran, in seiner Inszenierung auf Aktualisierungen zu verzichten. So darf Polizeimeister Wilke (Wolfgang Max Reimer, Vorstandsmitglied des Niederdeutschen Bühnenbundes) über die auf ihm lastende Verantwortung jammern, aber trotzdem seinen Fernschachspiel per Telefon mit dem Kollegen auf der anderen Seeseite frönen – dort geht es offenbar ähnlich zu.


Was plagen ihn auch für Sorgen: Emma Wiggers, resolut dargestellt von Christa Walczyk, sind zwei Hühner gestohlen worden. Dem schnell gefasten Hühnerdieb brummt der Polizeimeister mit bedenklicher Rechtsauffassung („Denk sozial! Klau die Hühner bei dem Reichen!“) und nach dem Motto „Hier bin ich der Richter“ 14 Tage Freiheitsentzug auf. Die wird er bei Frau Wiggers mit Holz hacken verbringen. Günter Kassow als Sebastian Knopp bekommt die von Wilke verordnete Resozialisierungsmaßnahme sichtlich gut. Pastor Petersen (Dieter Koglin, der im Anschluss an die Vorstellung anlässlich seines 25-jährigen Bühnenjubiläums geehrt wurde) beklagt den Verfall von Sitte und Anstand, ist aber doch für die Reize junger Frauen anfällig. Gemeindediener Martin Stingel (Lutz Knörnschild) soll eine Leiche verschwinden lassen.

Hanne Kleinschmidt (Malin Dressel) geht als verdeckte Ermittlerin einer anonymen Anzeige nach und durchleuchtet Wilkes Amtsauffassung. Der verordnet ihr wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (Nacktbaden, horribile dictu) eine Woche Haft, sprich: Übernachtung mit Frühstück im Gästezimmer und bekommt zunehmend funkelnde Äuglein. Und getrunken wird tüchtig, die Anzahl der sauberen Gläser verringert sich proportional zu dem zunehmend schwankenden Gang des Polizeimeisters. Komödienbedingt steuert das Stück auf sein gutes Ende zu: Die Suspendierung des Polizeimeisters wird wieder aufgehoben. Dem überkorrekten, karrierebewussten Oberwachtmeister (Torsten Bannow) sei seine Intrige mit der anonymen Anzeige gegen seinen Chef verziehen, dann steht auch einer gemeinsamen Zukunft mit Friedel (Helen Maas) nichts mehr im Wege. Und die Leiche? Gab es überhaupt eine?

War es nur eine Schaufensterpuppe? Am Schluss sind sich alle einige: „Minsch sein mutt de Minsch“ – das ist wichtiger als Bürokratie und Pflichterfüllung. An den Sprachwitz Jürgen von Mangers alias Adolf Tegtmeier mit seinem berühmten „Mensch bleiben“ reicht das Stück dann doch nicht heran. Und von dem im Programm erwähnten Zeitbezug, auch im digitalen, virtuellen Zeitalter gebe es Karriere-, Gewinn- und Machtstreben, ist es weit entfernt. Theater als Feel-good-Theater darf auch einmal nett sein, und das war es dann beim Premierenabend. Dem Polizeimeister sei verraten, dass ich diesen Satz geklaut habe (Plagiat!). Er wird es verzeihen und darauf einen Schnaps mit mir trinken.